Glänzend und nicht von dieser Welt

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© 2021/22 by Björn Streeck
 

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Foto: Marlene Zoe Burz

22. Dezember 2021 bis 6. März 2022
Im Winter 2021/22 gleicht der Ausstellungspavillon des BKV Potsdam auf der Freundschaftsinsel einem Spiegelkabinett, ohne dass ein einziger Spiegel zum Einsatz käme. Der in Berlin lebende Maler und Grafiker Björn Streeck hat eine raumgreifende Installation geschaffen, auf der einerseits die Ausstellungswände aus der rechtwinkligen Ordnung der Architektur heraustreten. Fast scheint es, als wollten die Präsentationsflächen dem System der Moderne entkommen, auf die sich das Gebäude mit seinen Rastern bezieht. Andererseits aber hat Streeck in großformatigen Gemälden und am Ort entstandenen Wandarbeiten eine Echokammer malerischer Gesten geschaffen, die zu einem unauflösbaren Vexierbild verschmelzen.
Künstler:  Björn Streeck
Kurator:  Manuel Kirsch
Ausstellungsort:  Freundschaftsinsel
Eröffnung:  Dienstag, 21. Dezember 2021 , 19:00

Was in diesem Schaufenster Architektur, was Bildträger ist, wird dabei ebenso zweifelhaft wie die Frage, was malerische Entscheidung und was Muster, was kunsthistorische Referenz und was Hintergrundrauschen aus dem kollektiven Unbewussten malerischer Formfindung ist.

Ausgerechnet im Pavillon auf der Freundschaftsinsel arrangiert Streeck damit ein Experiment, das quer zu allen schönen Verlässlichkeiten der Kunstgeschichte und den Ideologien steht, die sich seit jeher in ihr verbergen. Dort, in einem spätmodernistischen Provinzschmuckstückchen der DDR-Baugeschichte, das in einer gefühllosen Sanierung mit westdeutsch codierten Aluminiumfassadenelementen auf eine Zeitreise ins architektonische Niemandsland geschickt wurde, stellt er die Verlässlichkeit aller etablierten Grundannahmen über die Abstraktion der Moderne in Frage. Dabei geht er nicht wie die tonangebende Kunstwissenschaft von einer langen Kette prägender Werkleistungen aus, die in einem miteinander verquickten Referenzsystem Schritt für Schritt zu einer Evolution der Moderne führen. Streeck steht eher am anderen Ende der Formgeschichte, dort wo in den Investorenprospekten der Immobilienentwicker seltsame Hybride an Apartmentwänden erscheinen: Tafelbilder hinter Glas, die wie Klone aus Matisse und Miró, Picasso und Léger aus den Bedeutungszusammenhängen abgesprengte Grundformen der Moderne in gefahrlose Dekore konvertieren. Lémarós und Pollellas sozusagen, Homunkuli der Raumaufwertung.

Das ist es, was Streeck jedoch nicht innerhalb der Schwundstufen des Dekorationshandwerks, sondern viel ernsthafter an den heiligen Beständen der Kunstgeschichte interessiert. Er folgt in seinem Werk einer ausgeprägten Faszination an einer Struktur- und Formgeschichte der Grafik und Malerei, die in verselbständigten Typologien in unserem Bildgedächtnis haften bleiben. Wenn es einen kleinsten gemeinsamen Nenner der modernistischen Innovations- und Entwicklungsgeschichte gibt, das Inventar der Formen, die in das kollektive Vokabular der kreativen Klasse eingehen, dann forscht Streeck gewissermaßen an der Absurdität ihrer Aktualisierung.

All die systematischen Antworten der Kunst auf diese Fragen sind ihm bekannt. Subjektive Gesten, die Integration des Zufalls, die Bezugnahme auf den Körper, die Serialität – Kunst hat einen unermesslichen Methodenbausatz geschaffen, in dem sich die Abstraktion rekonfigurieren lässt. Streeck aber interessiert sich nicht nur für das geglückte Bild als Meilenstein einer historischen Evolution, sondern ebenso sehr für das unterlassene Bild, die Alternative zur formalen Entscheidung, die unrealisierte Möglichkeit.

Im Pavillon, der historisch einmal Ausstellungsort eines Künstlerverbandes war, der große Teile der Moderne aus seinem Repertoire ausklammerte und in dem in den letzten Jahrzehnten die Ideologieströmungen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wie zum augenblickshaften Wettstreit aufeinanderprallten, stellt Streeck uns Formentscheidungen in abgewandelten Aggregatzuständen vor. Ist die Wand mit dem Liniengeflecht Architektur? Ist eine Form in unterschiedlichen Verdichtungszuständen eine illegitime Nachkommenschaft aus einer Affäre des subjektiven Ausdrucksvermögens mit dem Design und seinen unendlich gewordenen digitalen Variationspotentialen? Ist der Pavillon, anders als wir all die Jahre dachten, selbst eine Simulation?

Es wäre ein amüsanter Fehlschluss, hier den konservativen Rückzug anzutreten und auf ein authentischeres Kunstwerk oder eine figürliche Ehrenrettung zu hoffen. Björn Streeck bietet etwas anderes an. Er legt uns nahe, die Komik in der Hetzjagd nach den Aktualisierungen der Formgeschichte zu sehen. Und wenn nachts, zur kunsthistorischen Geisterstunde, der Pavillon wie ein Schaukasten auf der Insel leuchtet, scheint es, als würden Streecks elegant verselbständigte Formen und Anti-Formen von den Wänden steigen. Morgens bilden sie dann wieder einen ordentlichen Ausstellungsraum.

 

Die Ausstellung ist für die Betrachtung von außen konzipiert und ist täglich zu den Öffnungszeiten des Gartendenkmals zu sehen. An den drei Führungsterminen und an den Wochenenden 27./28. Februar sowie 5./6. März und nach Vereinbarung wird der Innenraum für das Publikum geöffnet.

Zu den Führungen sind Björn Streeck und der Kurator Manuel Kirsch anwesend.

Führungstermine

Sonntag, 23. Januar 2022, 14.00 Uhr
Sonntag, 13. Februar 2022, 16.00 Uhr
Sonntag, 6. März 2022, 14.00 Uhr

Öffnungszeiten an den Wochenenden

Samstag und Sonntag 27./28.2. und 5./.6. März 13 bis 17 Uhr


Bei der Begehung des Innenraums müssen die geltenden Corona-Verordnungen des Landes Brandenburg und der Landeshauptstadt Potsdam eingehalten werden. Es ist daher ein Nachweis der vollständigen Impfung notwendig und es muss eine FF2-Maske getragen werden.


Das Projekt schließt an eine vielbeachtete Serie von Ausstellungen an, die den Pavillon in den Wintermonaten als Rauminstallation genutzt haben, mehrfach auch in Verbindung mit dem Medium der Malerei:

Schrein der Freundschaft I + II
Michael Müller: Vor und hinter dem Glas
Der Brandenburg-Atlas
Tepidarium
Friderike Feldmann: Chère Vitrine
Frank Nitsche: HELLO CHINA