Tepidarium

Foto 1, 2, 4, 5, 8-11, 14-17, 21, 23, 25, 27, 28

Courtesy Jochen Dehn; Aanant & Zoo, Berlin

Fotos 1, 2, 5, 10, 11, 14, 15, 17, 21, 25, 27, 28: BKV Potsdam

Fotos 4, 8, 9, 15, 16, 23: Jochen Dehn

 

Foto 3, 13, 18, 25, 26

Courtesy Lisson Gallery, London

Foto: BKV Potsdam e.V.

Fotos 1-3, 5-7, 18, 21, 24-26, 30

Courtesy Galerie Thomas Schulte

Foto: BKV Potsdam e.V.

Eine Winterausstellung in 2 Schritten
14. Dezember 2013 bis 23. Februar 2014
"Tepidarium" ist eine Ausstellungs-Fata Morgana. Skulpturen sehen dort Pflanzen zum Verwechseln ähnlich, als wolle die Kunst dem Garten draußen so ähnlich werden wie sie nur kann. Ein Sofa wird zum Teil der Architekturgeschichte des Ausstellungsraums. Je länger wir aber die Objekte und ihre Ähnlichkeiten bestaunen, desto unausweichlicher wird die Frage, was so naturgetreue Ähnlichkeit eigentlich so anziehend macht?
Kurator:  Gerrit Gohlke
Ausstellungsort:  Freundschaftsinsel
Eröffnung:  Samstag, 18. Januar 2014 , 16:00

Eigentlich finden Eröffnungen am Anfang einer Ausstellung statt. Im Fall von "Tepidarium" jedoch gibt es eine lange Vorgeschichte, die eineinhalb Autostunden von Potsdam entfernt in Forst in der Lausitz beginnt. Dort hat Jochen Dehn eine Ulme bis zum Wurzelwerk aus dem Boden entnommen, wie einen Bausatz zerlegt, verladen und in sein Lager geschafft, um sie für Ausstellungen wiederauferstehen zu lassen. Das Astwerk wird dann jedes Mal sortiert, verschraubt, mit Keilen gesichert, bis der Baum in veränderter Form selbsttragend steht. Mal wuchert er durch eine Tür in den Nachbarraum. Mal steht er frei. Immer ist er der Träger eines künstlerischen Experiments, in dem die Anpassung an den Ort und die Erwartungen, die dem Artefakt dort entgegengebracht werden, so wichtig sind wie das Objekt selbst. Dehn ist ein Experimentator nicht nur im Umgang mit der skulpturalen Form, sondern auch mit der Rolle des Künstlers und der Vorstellung, die wir uns von ihr machen.

"Bowling Ball Beach II", die chirurgisch montierte Ulme, ist also ein skulpturales Ereignis, das nur ausschnitthaft im gläsernen Ausstellungsgebäude in Potsdam zu sehen sein kann. Die Karnevalsgesellschaft, die dem Künstler geholfen hat, den ausgegrabenen Baum zu verladen, die einsame Sortierung und Nummerierung der Äste mit naturkundlicher Präzision in den Höhen des Weserberglandes, die Re-Migration des Baumes nach Brandenburg zählen ebenso zur Ausstellung wie Dehns Entscheidung, das der Natur entfremdete Gewächs in Potsdam geradezu naturgetreu zu inszenieren, Spiegelbild des Draußen, verschraubtes Zerrbild in wohliger Harmonie mit der Wirklichkeit. Warum, fragt Dehn interessiert in den Garten zurück, ist Ähnlichkeit und Harmonie eigentlich so wichtig? Er hat den Baum zu Ausstellungsbeginn als stillschweigende Überraschung im Ausstelungsraum installiert, ohne Erklärung und Auschilderung, als wuchere ein Ebenbild der Umgebung von selbst hinter Glas. Erst zur Eröffnung bekommt das Objekt Nachbarn, eine Geschichte und einen Namen. Bis dahin war der Baum ein Schaustück für Passanten, die mit dem Objekt sympathisierten und es fotografierten, weil es der Natur nicht nur wie aus dem Gesicht geschnitten schien, sondern sie womöglich gar übertraf. Der Künstler, ein Rollenspieler, Herr über einen Baum, der am Ursprungsort eine gewöhnliche Ulme war. Die Skulptur muss ihr Geheimnis also in ihrer Verschraubung haben. Weil sie zusammengesetzt ist. Oder ist ihr Geheimnis nur unsere Erwartung an das Objekt? Ist sie eine Projektion? Sind Projektionen nicht auch Natur?
 

Peter Rogiers später hinzugefügte Skulptur „The Garden“ pflichtet Dehn jedenfalls bei, allerdings aus der entgegengesetzten Richtung. Seine Palme richtet dem Publikum ihre Aluminiumblätter wie Säbelklingen entgegen. Verschraubt, verschweißt, in Kisten aufgebahrt, im Seecontainer verschifft, versucht sein metallisch reflektierendes Gewächs nicht einmal den Anschein zu erwecken, es sei der Natur nebenan entnommen. Es ist fremd wie ein UFO, eine Märchenerzählung von anderswo. Und doch verzückt die Palme, ein blecherner Pflanzengolem, weil sie uns ganz offensichtlich von ihren dekorativen Qualitäten überzeugen will. Sie ist keine abstrakte Chiffre, sondern eine Prothesen-Palme, und doch ist sie schön und nicht nur ein ironisches Spiel mit der Skulpturgeschichte. Sie lehnt sich auf gegen das Pathos der zeitgenössischen Kunst, borgt in der Populärkultur und kokettiert in aller Unschuld mit der nackten Expression. Eine botanische Travestie, die allen Welten zugleich angehört: Der Natur draußen, der Kunst drinnen und dem ungerührten Modernismus des Pavillons.

In ihm steht mit Angela de la Cruz' "Transfer (Ivory)" ein schwer beladenes Sofa, das nicht nur die beiden (falschen) Pflanzen, sondern auch den Aufführungsort der Ausstellung kommentiert. De la Cruz' Sofa trumpft als Inkunabel der Moderne in der 1970er-Architektur des Pavillons auf. Die sachliche Eleganz des Objekts braucht freilich einen Stuhl als statische Assistenz. Der minimalistische Quader, in elfenbeinfarbenem Weiß wie eine Leinwand bemalt, den das Möbel trägt, hält gerade so sein Gleichgewicht. Beides erscheint gleichermaßen unselbstverständlich, die gemalte Oberfläche des Objekts so sehr wie die ikonische Form des Möbels, das unwirklich wie ein archäologisches Fundstück im Raum posiert. Der in den Raum ragende Körper jedenfalls scheint seine Rampe verlassen zu wollen, er schiebt sich in die rechteckige Ratio des Ausstellungsraums, als lehne er sich gegen die modulare Ordnung auf. Nichts in dieser Ausstellung genügt insofern einfach sich selbst. Alles verselbständigt sich um so mehr, je länger wir schauen. Je angestrengter wir entschlüsseln wollen, was zu sehen ist, desto mehr sehen wir uns selbst. Keine schlechten Voraussetzungen für eine Vitrine in einem Schaugarten, der voller Ordnung ist, aber doch noch immer eigenmächtig wächst.

 

Der BKV Potsdam dankt den beteiligten Künstlern sowie den leihgebenden Galerien Thomas Schulte, Aanant & Zoo (Berlin) und Lisson Gallery (London). Besonderer Dank gilt Jochen Dehn, Michael Müller, Alexander Hahn, Thomas Schulte und Eike Dürrfeld.