UFOKUS: Counting War
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Quelle: Uppsala Conflict Data Program
abgerufen 2022 über databank.worldbank.org
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UFOKUS
Lässt sich der Krieg zählen? „Counting War“, ein 21,2 Meter langes mehrteiliges Wandgemälde des Kollektivs UFOKUS, spricht diese Annahme schon im Titel aus und legt als Maßeinheit des Grauens den einzelnen Menschen zu Grunde. Jeder und jede Tote sind eine Ziffer in der weltweiten Datenbank kriegsbedingter Todesopfer, die Jahr für Jahr mit dem neutralen Handwerkszeug der Mathematik das Sterben saldiert – wie alles, was die Menschen zählen können: Kinder, Häuser, Hochzeiten, das Post- und Frachtaufkommen, aber auch Waffen, Munition, die Wirkungsradien der Streumunition und die Krankenhausbetten, in denen noch Jahre nach dem Ende „bewaffneter Konflikte“ die Verstümmelungen der Minenopfer behandelt werden. Nichts davon sehen wir in diesem Gemälde.
Wie oft hat die Kunst nicht wegsehen können in ihrer Geschichte und in Zeichnungen, Gemälden, Fotografien die Leiden der Opfer zu Bildern gemacht? „Counting War“ dagegen zeigt keine Körper, keine Gesichter, keine Geschichten und auch nicht den Verlauf der Geschichte, auf die jeder Krieg sich beruft. Das Werk ist eine ganz andere Art Weltgemälde, weil es sich weigert, seine Aufmerksamkeit zu verengen. Diese Malerei will simultan alles sehen. Nein, sie will, dass wir als Betrachtende simultan alles sehen. Dass wir nicht entscheiden können, was ein wichtiger, unser Denken beherrschender und was ein entfernter Konflikt sei. Dass wir, aller Relativierungen und Einordnungen beraubt, unterschiedlos auch all jene Opfer sehen sollen, die es nicht in die Timeline der Nachrichten und der sozialen Medien schaffen. Dass die Toten, vor deren Leid wir nach und nach abgestumpft sind, die wir aus Vorurteilen, Selbstschutz, geografischer Ferne, mangelndem Fassungsvermögen, uneingestandenem oder unübersehbarem Rassismus verdrängen, als gäbe es sie nicht, in der Gleichheit der Ziffer nebeneinander sehen.
Wächter vor dieser Hölle der Zahlen sind die Statistiker, die den Verhungernden in Folge der Kriege oder den Opfern nichtmilitärischer Kriminalität den Eingang in ihr Zahlenwerk verweigern. Der „kriegsbedingte Tod“, sagen sie unbeirrt, setzt Konfliktparteien voraus. Krieg. Bomben und militärisches Gerät. Schlachtfelder. Das schließt andere Tote aus, kann die Monstrosität der Diagramme der Auslöschung aber nicht mildern. Allerdings reproduziert UFOKUS gerade nicht diese Diagramme. Die Malerei scheint sich die statistischen Werkzeuge zwar auszuleihen, schafft aber als Widerschein des Krieges mit der Hingabe handwerklichen Könnens farbige Felder. Für jedes Land eine Farbe. Für die Größe der Opferzahl ein Maßstab in Quadratmillimetern. Der Tod ist ein Rechteck. Die Rechtecke stapeln sich zu turmhohen Spalten. Wir müssen die Verteilung des Todes ohne Präferenz ertragen. Anders als die Bilder auf den Bildschirmen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen und steuern, kann unsere Bereitschaft zur Gewöhnung hier keinen Toten aus unserem Sehfeld verdrängen. Unter den Feldern findet sich der Krieg, den wir kennen. Auch der, an den wir uns wieder erinnern müssen. Und der, den wir einfach ignorieren. Der vergessene Krieg. Der Krieg, den wir nur wiedersehen, wenn die Opferzahl von heute die Opferzahl von gestern überbietet. Der Krieg, den wir suchen müssen, seit er erst von den Titelseiten, dann auch aus den Kurzmeldungen verschwunden ist. Und der Krieg der uns sucht, weil er Anwälte hat, die die Spielregeln unserer Aufmerksamkeit verstehen.
UFOKUS will und darf und kann diese Spielregeln nicht bewerten. Und natürlich wissen wir, dass wir es wohl nicht aushalten könnten, in unserer Aufmerksamkeit gerecht zu sein und unser Bewusstsein mit zehntausenden Toten anzureichern. „Wir sind uns immer bewusst, dass wir nichts ändern können“, schreibt das Kollektiv, das anonym arbeitet und sich weigert, uns mit politischen Aussagen zu entlasten, denen wir zustimmen und die wir gerne unterschreiben würden. Wie schnell wir uns hingegen als Gesellschaft selbst entlasten und wie rasend schnell das Vergessen ist, seit der Krieg sich in unseren Apps täglich selber überbietet, sehen wir vor dieser Wand. Wer gerne denken wollte, erst jetzt sei Krieg, wird von den Farben widerlegt. Diese Wand ist unsere Welt.
Bitte beachten Sie, dass die Ausstellung zu den Öffnungszeiten des Gartens von außen betrachtet werden kann. Von Donnerstag bis Sonntag ist der Pavillon jeweils von 13-17 Uhr auch zur Begehung von innen für Sie geöffnet und wir stehen Ihnen mit Erläuterungen und Informationsmaterial und zum Gespräch zur Verfügung.
Nächste Führung: Sonntag, 12. Juni 2022, 15 Uhr mit Gerrit Gohlke
Datenquelle: Uppsala Conflict Data Program, pcr.uu.se/research/ucdp
Datenabruf 2022 über databank.worldbank.org