Airspace - Woche 3
1-6
Fotos:
BKV Potsdam
Die fundamentale Erfahrung von Airspace ist, dass der Raum kein zentrales Hörererlebnis vorgibt. Er ist ein wandelbarer Orchesterapparat, der mit Raumdrehungen und fliegenden Wechseln vielschichtige Hörsituationen schafft und in dem das Publikum unterschiedliche Positionen und Perspektiven einnehmen kann. Die für den Raum entstehenden Kompositionen zerlegen den Klang, verteilen ihn im Raum, lassen ihn auf körperlich unterschiedliche Weise darin aufleben. Das rigide Raster der modernistischen Architektur und die kinetische Energie der Schallwellen bilden einen Kontrast, der den gebauten Raum in Frage stellt und neu erfahren lässt.
Programm
Elisabeth Schimana
Luftgewebe (2003)
und ein ein atem
und ein aus atem
und zwei mund
und drei filter
und fünf analog
und acht digital
und verwoben
Cordula Bösze: Flöte
Elisabeth Schimana: Stimme, live Elektronik
Elisabeth Schimana arbeitet als Komponistin, Performerin und Radio Künstlerin. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich seit vielen Jahren mit Raum, Körper und Elektronik.
Christine Groult
Si je les écoutais…
Christine Groult interessierte sich schon früh für die zeitgenössische Musik, vor allem die Musique concrète, die vorgefundene Klänge nutzt und die sie über das Radio kennenlernte. Bereits als Kind hatte sie mit Hilfe eines tragbaren Tonbandgerätes eigene field recordings angefertigt. „Ich hänge sehr an dieser Idee der elektroakustischen konkreten Musik, bei der man nichts sieht, und bei der deshalb der klanglichen Imagination und allem, was mit dem Gedächtnis verbunden ist, im Sinne einer Vision eine wichtige Rolle zukommt“, wie die 1950 geborene Komponistin erklärt.
Mattia Bonafini
Brest and Farge
(aus Wider das Leugnen: „Bunker Valentin“)
Wider
das Leugnen
das Relativieren und
Trivialisieren
Wider
Rassismus und Nationalismus
Hass und Gewalt
In seinem Stück setzt sich Mattia Bonafini mit dem „Atlantikwall“, einer Kette von 15.000 Bunkeranlagen, auseinander, mit dem Hitler und die Führung der deutschen Wehrmacht Frankreich während des zweiten Weltkriegs in eine uneinnehmbare Festung gegen die Alliierten verwandeln wollte. Den Bau der monströsen Anlage, die auch für immer die Natur des besetzten Landes durrchsetzte und zerstörte, übernahm die „Organisation Todt“, die 1940 mit Arbeitern und Lastwagen der Wehrmacht nach Frankreich folgte – als Bindeglied zwischen der Armee und der privaten Bauindustrie. Sie konfiszierte in den besetzten Ländern Maschinen, Baustoffe und Arbeitskräfte, schloss lukrative Verträge mit deutschen und ausländischen Baufirmen ab und war ab 1943 direkt Hitler unterstellt. 1942 übernahm der Architekt und Vertraute Hitlers Albert Speer die Organisation Todt und setzte zu Kriegsende auch hunderttausende KZ-Häftlinge beim Bau von unterirdischen Fabriken ein.
Elisabeth Schimana
Luftgewebe (2003)
Christine Groult
Passagers imminents
Mattia Bonafini
mementos cornucopia
"Die Lautsprecher sind in diesem Stück wie Schachteln, die klingende Köstlichkeiten bewahren. Manche geben nur ganz kurz einen Einblick in das ansonsten Verborgene, andere bleiben länger geöffnet und zeigen Laute wie von Chören gesungen, oder Glissando-Schlingen; das verbindet sich dann zu Froschquaken. Es gibt fixierte Lautsprecher-Schachtel-Zuordnungen und leicht orchestrierte Varianten mit mehreren Lautsprechern, doch die gestaltete Topographie der Klang-Orte bleibt erhalten und weist den Klanggeschichten ihren Ort, ihre Schachtel (den Lautsprecher) zu. Besonders gefällt mir die Geschichte des abgeschnittenen Rufs eines Kuckucks: der sagt nur 'Kuck-' ohne ein folgendes '-uck'. Alle Klänge wirken wie aufgenommen, sind es wahrscheinlich jedoch nicht, sondern synthetisch moduliert. In der Kulmination der Klangkonglomerate entstehen herrlich freie polyphone Wirkungen. Am Ende des kurzen Stückes kann man hören, wie eine Schachtel geschlossen wird. Dann ist das Stück aus, aber die Klänge bleiben in den Schachteln liegen, bereit, wieder zu erklingen." Stefan Bartling
Christoph Ogiermann
Im Schwarm
Die Musik der Installation besteht aus elektronischen Klängen, erzeugt mittels sich miteinander rückkoppelnder elektronischer Geräte. Das bedeutet, dass die Klangerzeugnisse eines Geräts aus seinem Ausgang wieder in seinen eigenen Eingang eingespeist werden. Keine »äußeren« Klänge oder Impulse kommen hinzu, und das Gerät produziert, meist ausgehend von seinem internen Rauschen, unregelmäßige Klänge. So lange der Strom läuft, entstehen instabile Schwingkreise, die nur begrenzt kontrollierbar sind. Der erste Hörer dieser Klänge bin ich selbst, oft staunend vor den unerwarteten Ergebnissen. Staunen ist ein erstes Kriterium.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Ergebnisse solcher Operationen, oft sehr tierähnlich, animalisch, »natürlich« erscheinen. Dabei ist die Musik vielleicht für einige Besucher*innen so tierähnlich geraten, dass der Hinweis: »für diese Musik wurden keine Tierlaute oder Naturgeräusche verwendet« notwendig sein könnte. Liegt das an der Tatsache, dass die Klänge nicht einer »Vorstellung« des Komponierenden folgen, sondern ihre eigene, oft kaum noch nachvollziehbare Logik haben? Sie kommen daher dem »Natur-Schönen« entgegen, dass sich ja auch meist unserer Kontrolle entzieht und von dem wir keine Botschaft an uns erwarten müssen. Wir sind nicht gemeint. Das nimmt uns auch aus dem steten Verstehenszwang gegenüber dem Kunstwerk, schmälert aber zugleich nicht die Faszination (zum Beispiel für die »Organisation« eines Sperlingschwarms.)
Für IM SCHWARM habe ich die für mich noch immer sehr zeitgemäße und dem Thema entsprechende »realistische« Methode der unabhängigen Gleichzeitigkeit musikalischer Schichten benutzt: Bis zu fünf »Improvisationen« mit den elektronischen Geräten sind IM SCHWARM gleichzeitig zu hören. Sie sind unabhängig voneinander entstanden und wurden in ihrem Zusammenklingen selten (und dann zumeist nur in der Lautstärke) angeglichen. Bei ihrer Erzeugung wurde lediglich darauf geachtet, dass die Analogie mit einem »Schwarm« sich klanglich niederschlagen konnte. Das heißt: hoher kollektiver, nicht zentral erreichter Organisationsgrad; wie etwa ein Massenklang von Blätterrauschen, in dem das Geräusch zweier zusammenschlagender Blätter aufgehoben ist.
Mattia Bonafini
mementos cornucopia
Christine Groult
A la pointe de chaque instant
Zum Projekt Airspace
Mit freundlicher Unterstützung der Karin und Uwe Hollweg Stiftung und durch Gerd de Vries
in Kooperation mit rem, projektgruppe neue musik e.V., Bremen