Airspace - Woche 2

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Fotos: BKV Potsdam

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Foto: Kriz Olbricht

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Foto: Göran Gnaudschun
 

Tägliches Programm 13 bis 17 Uhr (außer montags)
22. Oktober 2024 bis 26. Oktober 2024
Mit Airspace wird der Brandenburgische Kunstverein in eine Klanginstallation verwandelt. Die gesamte Ausstellungsfläche wird mit 48 individuell ansteuerbaren Lautsprechern in ein Auditorium verwandelt und ist gleichzeitig ein begehbares Instrument. Dabei wechselt das Programm wöchentlich jeweils von Samstag auf Sonntag. Sehen Sie hier das Programm der zweiten Woche:
Kurator:  Alexander Moosbrugger
Ausstellungsort:  Freundschaftsinsel
Eröffnung:  Dienstag, 22. Oktober 2024 , 13:00

Die fundamentale Erfahrung von Airspace ist, dass der Raum kein zentrales Hörererlebnis vorgibt. Er ist ein wandelbarer Orchesterapparat, der mit Raumdrehungen und fliegenden Wechseln vielschichtige Hörsituationen schafft und in dem das Publikum unterschiedliche Positionen und Perspektiven einnehmen kann. Die für den Raum entstehenden Kompositionen zerlegen den Klang, verteilen ihn im Raum, lassen ihn auf körperlich unterschiedliche Weise darin aufleben. Das rigide Raster der modernistischen Architektur und die kinetische Energie der Schallwellen bilden einen Kontrast, der den gebauten Raum in Frage stellt und neu erfahren lässt.

Programm

Anna Schütten
Flüstertechno (Potsdam)

Anna Schüttens „Flüstertechno (Potsdam)“ verwendet eine Unterwasser-Tonaufnahme als Quelle. Schütten hat am Ufer eines alten Flussarms im Taubergießen wie bei einer Stethoskop-Untersuchung nach Geräuschen gesucht und mit einem Hydrofon die Klanglandschaft unterhalb der Wasseroberfläche aufgenommen. Aus den akustischen Signalen der biologischen Prozesse, dem Ticken, dem Entstehen von Luftblasen bei der Photosynthese oder dem Zirpen der Insekten wird eine „Soundscape“, eine Hörlandschaft. Die ursprünglich etwa 7 Aufnahmeminuten werden doppelt so langsam und doppelt so tief über die Installation des Bremer Lautsprecher Orchesters abgespielt – und so für unser Hörvermögen hörbar. Mit einer langsamen Bewegung ziehen die Impulse durch den Raum, klingen aus, während neue Signale einsetzen und sich die vielen aufgenommenen Stimmen des Unterwasser-Kosmos überlagern. Klarheit über das einzelne Geräusch und seine genaue Herkunft ist nicht zu erlangen.

Anna Schütten arbeitet an der Schnittstelle von Bildender und Akustischer Kunst und nimmt für ihre Installationen und Performances häufig akustische Eigenarten von Orten auf. Seit 2020 fährt und läuft Anna Schütten im Rahmen ihrer Flüstertechno-Reihe verschiedenste Gewässer ab und hört mit ihren Field Recordings den Unterwasser-Soundscapes der Orte zu.

Heiner Franzen
W A K E
Heiner Franzens Audiostück „W A K E“ ging zunächst eine Videoinstallation voraus, die auf einen Ausschnitt aus Peter Brooks 1967 entstandene Filmadaption des Theaterstück "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade" von 1964 zurückgreift, in der Patrick Magee die Mimik eines Psychopathen zu simulieren versucht und kaum merklichem Zucken die Lobpreisung des Tötens des Marquis de Sade rezitiert. Die Figur de Sade weidet sich hier an Erinnerungen an die öffentlichen Hinrichtungen der Französischen Revolution, entkoppelt sie aber von ihrer politischen Bedeutung oder allen Ansprüchen auf Gerechtigkeit und huldigt dem Töten selbst als absolutem Herrschaftsanspruch über die Menschen. Der Autor Kolja Reichart weist auf die Erfindung der Guillotine hin, dem „mechanischen Schnittinstrument, das die Industrialisierung auf dem Schafott einläutet und in technischer Hinsicht als Vorwegnahme des Films gelten kann. In der körperlichen Welt bricht der Schnitt das Leben ab. In der mentalen Welt wirkt er verlebendigend: Aus dem Aufblitzen filmischer Einzelbilder animiert das Hirn die Illusion lebendiger Abläufe.“ Franzens Mittel in „W A K E“ ist nichts anderes als der Schnitt. Er zerlegt den Dialog und verwandelt ihn in eine Aufzählung, ein Echo der Gewalt in der pathologischen Reflexion des exzessiven Tötens. In der Ausstellung lässt Alexander Moosbrugger dieses Echo immer wieder anklingen – als Reflex einer Welt, in der die Hoffnung auf das Verstummen der Gewalt und ihrer Echos eine Illusion bleiben muss.

Christine Groult
Eaux mêlées
Christine Groults Stück „Eaux mêlées" ist während eines Forschungsaufenthalts in Penvénan an er bretonischen Küste entstanden. Es verarbeitet Landschaftserfahrungen in den Küstengebieten zwischen Paimpol unbd Lannion, einer Gegend in der zwischen Meer, Flüssen und Flussmündungen und dem Land feste und fließende Elemente ineinander übergehen.
Christine Groult interessierte sich schon früh für die zeitgenössische Musik, vor allem die Musique concrète, die vorgefundene Klänge nutzt und die sie über das Radio kennenlernte. Bereits als Kind hatte sie mit Hilfe eines tragbaren Tonbandgerätes eigene field recordings angefertigt. „Ich hänge sehr an dieser Idee der elektroakustischen konkreten Musik, bei der man nichts sieht, und bei der deshalb der klanglichen Imagination und allem, was mit dem Gedächtnis verbunden ist, im Sinne einer Vision eine wichtige Rolle zukommt“, wie die 1950 geborene Komponistin erklärt.

Heiner Franzen
W A K E

Hanna Hartman
Att fälla grova träd är förknippat med risker

Dass das Fällen großer Bäume mit Risiken verbunden ist, dürfte vor 20 Jahren, als Hanna Hartman ihre Klangkomposition geschaffen hat, durchaus humorvoll konnotiert gewesen sein. Heute ist uns die Zerstörung von Natur als existenzielle Bedrohung ins Bewusstsein gerückt. Klimawandel, Regenwaldrodung, vertrocknende Wälder sind nicht mehr zu trennen von archaischen Geräuschen wie dem Brechen von Holz, wenn ein Baum, der voll im Saft steht, geschlagen wird, den Halt verliert, schließlich fällt und die Äste anderer Bäume streift. Man hört in Hanna Hartmanns Komposition förmlich die Binnenstruktur von Holz brechen, dichtes kurzes Knacken, das sich hochenergetisch zur Stille hin entlädt. Dafür haben O-Töne von Waldarbeiten Eingang gefunden. Mehrere Wochen lang nahm Hartmann Geräusche und Klanggebilde auf. Auch menschliche Stimmen sind zu vernehmen. Auf diese Weise mag „Att fälla grova träd är förknippat med risker“ konkrete Bilder oder Handlungen evozieren, tatsächlich aber ist etwas anderes an diesem Stück so bemerkenswert: Zu deutlich, zu vergrößert, detailliert, konkret, fast hyperrealistisch sind die Hörinhalte, als dass wir sie als Illustration eines Vorgangs hören könnten. Wir haben es mit so zugespitzten, geschärften Klängen zu tun, dass sie erzählerische Vorstellungen aushebeln. Die spezifische Tiefenschärfe klanglicher Ereignisse scheint die Hauptrolle zu spielen, direkt vor unserem Trommelfell. Bemerkenswert ist die strukturelle Anordnung in diesem Stück, Passagen mit hoher Ereignisdichte stehen solchen mit punktgenau ausgehörter Stille gegenüber. Mit dem Fallen fällt bei Hanna Hartman auch die festgezurrte Gegenständlichkeit unserer Wahrnehmung.

Beauftragt von Rikskonserter and Elektronmusikstudion in Stockholm, ausgezeichnet mit dem Karl-Sczuka-Preis.

Heiner Franzen
W A K E

Christine Groult
A la pointe de chaque instant

Anestis Logothetis
Spatzenmono

Anestis Logothetis hatte zunächst an der Technischen Hochschule in Wien Bauwesen studiert, bevor er sich gänzlich der Musik zuwandte. Von 1958 an entwickelte er dann seine Notation mit grafischen Elementen, mit der er bis zuletzt komponierte. Dabei wird nicht nur der Klang, sondern auch seine Wirkung grafisch umschrieben, ohne aber die Details letztgültig zu fixieren. 1959 entstand seine grafische Notation ABCD Struktur-Textur-Spiegel-Spiel, aus der er seine Notenschrift ableitete. Er stand mit dem Wiener Aktionismus in Verbindung, stellte aber auch grafische Blätter und Partituren im Kunstkontext aus und entwickelte Musikhörspiele und multimediale Opern. Logothetis entwirft also räumliche Klangbilder. Seine Musik kann aber auch assoziativ als Bildklang wahrgenommen werden.

 

 

Zum Projekt Airspace


Mit freundlicher Unterstützung der Karin und Uwe Hollweg Stiftung und durch Gerd de Vries
in Kooperation mit rem, projektgruppe neue musik e.V., Bremen

Karin und Uwe Holleg Stiftung