Airspace - Woche 1
1
Foto: Philippe Ollivier
2, 4, 6
Fotos: BKV Potsdam
3, 5
Alle Rechte bei Stefan Bartling /
Alexander Moosbrugger
Die fundamentale Erfahrung von Airspace ist, dass der Raum kein zentrales Hörererlebnis vorgibt. Er ist ein wandelbarer Orchesterapparat, der mit Raumdrehungen und fliegenden Wechseln vielschichtige Hörsituationen schafft und in dem das Publikum unterschiedliche Positionen und Perspektiven einnehmen kann. Die für den Raum entstehenden Kompositionen zerlegen den Klang, verteilen ihn im Raum, lassen ihn auf körperlich unterschiedliche Weise darin aufleben. Das rigide Raster der modernistischen Architektur und die kinetische Energie der Schallwellen bilden einen Kontrast, der den gebauten Raum in Frage stellt und neu erfahren lässt.
Programm
Anestis Logothetis
Farbiges Rauschen 5 (Wien)
Anestis Logothetis hatte zunächst an der Technischen Hochschule in Wien Bauwesen studiert, bevor er sich gänzlich der Musik zuwandte. Von 1958 an entwickelte er dann seine Notation mit grafischen Elementen, mit der er bis zuletzt komponierte. Dabei wird nicht nur der Klang, sondern auch seine Wirkung grafisch umschrieben, ohne aber die Details letztgültig zu fixieren. 1959 entstand seine grafische Notation ABCD Struktur-Textur-Spiegel-Spiel, aus der er seine Notenschrift ableitete. Er stand mit dem Wiener Aktionismus in Verbindung, stellte aber auch grafische Blätter und Partituren im Kunstkontext aus und entwickelte Musikhörspiele und multimediale Opern. Logothetis entwirft also räumliche Klangbilder. Seine Musik kann aber auch assoziativ als Bildklang wahrgenommen werden.
Alexander Moosbrugger
1 Cent N°1 für 48 Lautsprecher (Uraufführung 2024)
Anestis Logothetis
Kleine Parallaxe
Stefan Bartling
SÄKULARSTATION für 26 Lautsprecher und Mobiltelefon-Chor (Uraufführung 2024)
Christine Groult
Mi ritrovai per una selva oscura (2018)
Christine Groults Stück „Mi ritrovai per una selva oscura” zitiert im Titel Dantes „Göttliche Komödie“. An deren Beginn wird der Erzähler seiner selbst im dunklen Wald gewahr: „Auf halbem Wege unsers Erdenlebens“, heißt es in der ersten Strophe, „musst ich in Waldesnacht verirrt mich schauen“. Er ist nicht nur ausgeliefert. Er beobachtet sich auch dabei, bevor er seinen Weg fortsetzen wird, um erzählend die Hölle zu durchschreiten.
In Groults Stück ist die Selbstbeobachtung in einer undurchschaubaren nächtlichen Außenwelt der Assoziationsrahmen, in dem sie uns mit Klangereignissen konfrontiert, deren Herkunft wir nicht genau kennen, die sich aber mit unserem akustischen Gedächtnis, unterschwelligen Erinnerungen oder Spekulationen zu einer Erzählfolge nichtsprachlicher Bilder verbinden.
Christine Groult interessierte sich schon früh für die zeitgenössische Musik, vor allem die Musique concrète, die vorgefundene Klänge nutzt und die sie über das Radio kennenlernte. Bereits als Kind hatte sie mit Hilfe eines tragbaren Tonbandgerätes eigene field recordings angefertigt. „Ich hänge sehr an dieser Idee der elektroakustischen konkreten Musik, bei der man nichts sieht, und bei der deshalb der klanglichen Imagination und allem, was mit dem Gedächtnis verbunden ist, im Sinne einer Vision eine wichtige Rolle zukommt“, wie die 1950 geborene Komponistin erklärt.
Alexander Moosbrugger und Thomas Kessler
Alignment (2016)
Thomas Kessler und Alexander Moosbrugger verwenden für „Alignment“ Kompositionsübungen, die Wolfgang Amadé Mozart (1756–91) seinem nur neun Jahre jüngeren Schüler Thomas Attwood (1765–1838) auferlegt hat. Attwoods eifriges Bemühen und Mozarts manchmal harsche Korrekturen und Interventionen verbinden sich dabei zu einem Kontinuum, in dem Mozarts Unterweisungen und Attwoods Merksätze eingesprochen werden, während das Notenmaterial selbst zu einem vierstimmigen Satz aus Glissandi verdichtet wird.
Moosbrugger und Kessler nutzen das Material dabei, um Irrtum und Belehrung, Holprigkeit und Eleganz, Schülereifer und Meisterschaft in ihrer ungleichen Paarung konstruktiv zu entschärfen. Ohne dass eine Note verändert wird, entwickeln Moosbrugger und Kessler ein völlig neues Stück, in dem die Töne ihre natürliche Dauer verlieren und sich aufeinander zubewegen. Das Verhältnis zwischen den Stimmen wird zur Raumerfahrung, zum Angebot, zwischen den Lautsprechern in den Zwischenraum der Töne einzutreten.
(Text eingesprochen von Anna Clementi und Saul Williams)
Zum Projekt Airspace
Mit freundlicher Unterstützung der Karin und Uwe Hollweg Stiftung und durch Gerd de Vries
in Kooperation mit rem, projektgruppe neue musik e.V., Bremen