Konzert zur schönen Aussicht

Fotos 1-6

Courtesy BKV Potsdam

Schallwandler: Bericht zum ersten Konzertabend
Verunsicherung kann wie Urlaub sein, wenn sie nicht einfach Sicherheiten erschüttert, sondern dem Wohlbekannten experimentelle Alternativen zur Seiten stellt. Alexander Moosbrugger, Luc Döbereiner und Ekkehard Windrich ist mit ihrem Konzertprogramm im Ausstellungspavillon auf der Freundschaftsinsel eine in diesem Sinn tiefenentspannte Verunsicherung gelungen, weil man nach dem Konzert keinen Ton mehr für gegeben und keinen Klang für selbstverständlich hält.

Aus einem Garten wird dabei eine Produktionsstätte rhythmisierter Schalleindrücke, aus dem Gebäude selbst ein Lautsprecher, der dem Publikum physisch naherückt und selbst noch aus konventionellen Instrumenten wie einem Clavichord oder einer Truhenorgel Generatoren unerwarteter Klangkoppelungen macht, in denen Geschichte und aktueller Moment, konzeptuelle Rezeptur und Improvisation unauflöslich verschmelzen. Musik wird zum Material selbständiger Zuhörerentscheidungen und ständiger Perspektivwechsel, bis der Hörort selbst als Konstruktion unserer musikalischen Erwartungen erscheint, eine Art unerschöpfliche Quelle akustischer Reflexe, die sich unerwartet verdichten, dehnen, transformieren, freilegen, übereinander schichten und auflösen lassen.

Das Konzert wird dabei von Ekkehard Windrichs „Distanz und Diffusion I“ und Luc Döbereiners „Glas“ wie von zwei Extremen der Raumerfahrung eingeklammert. Während Windrich Feldaufnahmen aus dem Karl Foerster-Garten vor der Tür des Pavillons heranzoomt, zerlegt, verdichtet und schichtet, scheint Döbereiner mit der Körperschallwandler-Technik, also der Übertragung akustischer Impulse direkt auf die Glasscheiben als Resonanzfläche, das gesamte Klangpotential des Pavillons freizulegen, freilich nicht als irgendwie auffindbare akustische Realität, sondern als fiktiver Dialog zwischen Elektronik und Architektur, bei dem mit jeder Minute des Hörens das physische Vibrieren der Scheiben, das drohende Bass-Vibrato des Glases, die Koppelung zwischen Zuhörer- und Baukörper als einzige gesicherte Gewissheit fühlbar wird.

Der Klang eines Gartens? Bei Windrich ist das die unmittelbare Nähe des Fontänenrauschens, die sich an technoid repetierten Echos bricht, die von der Baustelle gegenüber oder sonst einem beliebigen Aufnahmeort kommen mag, sich komprimiert, lautstark wieder entfaltet, konzentriert, zerfällt und in weitem Bogen neu eingeholt wird. Bei Döbereiner wird der Klang des Ortes zu einer Verteilungsfrage, nicht nur des Publikums, das sich beliebig im Raum positionieren kann, weil von allen sichtbaren Glasscheiben Klang generiert wird, die Hörerfahrung also ihre Richtung verliert, sondern auch als immer neu verteiltes Gleichgewicht zwischen Struktur und physischer Wucht, Konzept und subjektiver Entscheidung, dem eigenen Körper und der Kollektiverfahrung im Inneren eines musikalisch erschütterten Gebäudes. Klingt so also ein modernistischer Kubus? Sind die Erwartungen an einen Ort der Ruhe, an die klangliche Neutralität einer Ausstellung romantische Projektion?

Das von Alexander Moosbrugger konzipierte Programm ist ein Abenteuer, bei dem die Musik nicht an das Vorwissen des Publikums oder seine Bereitschaft zur Dechiffrierung appelliert, sondern auf das Zuhören vertraut. Mal erscheinen die Musik und der Blick in den Garten als gleichgerichtete Parallelerfahrung, mal als scharfer Kontrast. Aktivurlaub sozusagen, Hörsport im akustischen Klettergarten.


Freitag, 18. April 2014