Lennart Rieder: ill communication
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Fotos:
Lennart Rieder
Rieder ist ein Phänomenologe der Täuschung. In seinen Bildern setzt die Malerei all ihre Tricks und Finten, technischen Finessen und optischen Illusionen ein. Dabei geht es nicht um die Zurschaustellung künstlerischer Kunstfertigkeit, sondern um die Erforschung des Sehens. Die mikroskopische Vergrößerung, die Vortäuschung der Dreidimensionalität, der fantasierende Blick durch dünne, durchscheinende Oberflächen sind nicht einfach eine weitere Untersuchung des unendlich oft hinterfragten malerischen Handwerks, sondern eine Tiefenanalyse der Art und Weise, in der wir mit unseren Augen die Welt betrachten. Die Täuschungseffekte sind ein Rollenspiel, das nicht primär vom Malen handelt, sondern von der hoffnungslosen Naivität, mit der wir stets aufs Neue unseren Augen trauen – ob nun im Museum oder in der digitalen Welt.
„Lennart Rieder nutzt die Augentäuschung, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und das Publikum dadurch zum genauen Schauen aufzufordern“, schreibt Manuel Kirsch über Rieders Werk, das sich stoisch und systematisch am historischen Repertoire der Malereigeschichte abarbeitet. Vertraute Alltagsoberflächen wirken zum Greifen nah, führen aber mit verfransenden Rändern oder desillusionierenden Fehlern unsere Unbeirrbarkeit aufs Glatteis, mit der wir hinters Licht geführt werden wollen. Maßstabsverzerrungen, optische Vexiereffekte frappieren nicht, weil sie so geschickt etwas Unmögliches vorspiegeln, sondern weil sie so unbekümmert ihre Unmöglichkeit zur Schau stellen. Eigentlich täuscht der Künstler gar nicht. Er malt den Täuschungsvorgang und weckt den Verdacht, eine vollendete Lüge wäre uns lieber, als unsanft aus dem Halbschlaf gerissen zu werden.
Lennart Rieder, schreibt Kirsch, verwende „illusionistische Mittel dazu, Techniken und Funktionsweisen von Malerei zu verhandeln.“ Aber diese Mittel sind vor allem auch ein Verhandlungsargument, um uns die Konditionierungen unseres Sehens aufzuzeigen. In Rieders neuen Arbeiten für den Ausstellungspavillon auf der Freundschaftsinsel zeigt sich das unübersehbar: Er wendet sich der Fläche zu, durch die wir im digitalen Zeitalter in die Welt blicken, die Oberfläche des Smartphones.
Auf ihr wischen wir manisch herum, um immer noch schneller immer noch mehr zu sehen. Wir lassen die Phänomene im verkleinerten Maßstab an uns vorüberfliegen und hinterlassen als Indiz unserer Verwirrung die Fettspuren unserer Fingerkuppen auf dem gepanzerten Glas. Rieder zeigt nicht die Illusion der digitalen Inszenierung, die wir betrachten, sondern er bereitet wie ein Forensiker unsere Fingerabdrücke auf. Aus ihnen schöpft er eine neue Illusion. Die Gemälde entstehen im Airbrush-Verfahren auf einer nicht ganz blickdichten Oberfläche, die er über eine Reliefnachbildung der fotografierten Fingerspuren gespannt hatte. Die Bewegungsspur wird erst zum Objekt. Das Objekt formt dann malerisch das monumentale Spurenbild unserer alltäglichen Obsession, weithin sichtbar hinter den Schaufensterscheiben des Pavillons. Die Welt ist eine Scheibe. Das ist „ill communication“, ein in die Irre entglittener Dialog. Wer alle Erscheinungen hinter einen gläsernen Objektträger bannt, ist nicht der Maler. Es sind wir. Überführt von der Malerei, können wir es nicht länger leugnen.
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