Friederike Feldmann: Chère Vitrine (II)
Fotos 1, 5, 7
Zeichnungen
Pigmentierte Tusche auf Papier
42 x 29,7 cm
Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin
Fotos 2
Installationsansicht Chère Vitrine
Innenraum
Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin
Foto: BKV Potsdam
Foto 3
Chère Vitrine
Außenansicht der Installation
Freundschaftsinsel
Foto: BKV Potsdam
Foto 4
Chère Vitrine (II)
Blick in die Ausstellung
Foto: BKV Potsdam
Fotos 6, 10
Ausstellungseröffnung
Chère Vitrine (II)
Foto: BKV Potsdam
Foto 8
Atelieransicht
Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin
Foto: BKV Potsdam
Foto 11
Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin
Foto 12
Ausstellungsaufbau
Courtesy Galerie Barbara Weiss, Berlin
Foto: BKV Potsdam
Ein dichtes Netz aus Schraffuren, Unterstrichen oder parallel geführten Kurven wird auf dem Papier arrangiert. Wie in der Kalligrafie emanzipiert sich die Spur der Pigmente auf dem Blatt von der übermittelten Information und scheint zum Ornament zu werden. Was aber ist Ornament in einer Zeichenwolke ohne lesbare Bedeutung? Was ist Dekor auf einem Bogen, auf dem jeder Strich prinzipiell das Gleiche, nämlich nichts bedeutet? Friederike Feldmann fragt danach, wie viel Sinn wir hinzufügen, wenn wir interpretieren und stellt den auf den Scheiben dahineilenden gemalten Zeichen die kontrollierte Welt der Zeichnung gegenüber.
So wird der Ausstellungsraum des Kunstvereins zu einer Versuchsanordnung über unser Bedürfnis, Kunst zu verstehen und aus künstlerischen Handlungen Sinn zu stiften. Die Abstraktion als längst etablierte Methode der Malerei wird so noch einmal zur Provokation, weil sie sich unseren Hoffnungen auf Erklärung und Deutung nicht einfach verweigert, sondern im selben Moment nähert und entzieht. Schrift scheint dazu gemacht, lesbar zu sein. Wäre die Hand der Künstlerin nur ein wenig mehr unseren Konventionen gefolgt, in der richtigen Sekunde umgekehrt, abgebogen, zur Seite geeilt und zurückgewichen, so stünde auf dem Blatt ein lesbarer Text, ein Brief an das Publikum, eine Notiz aus dem begehrenswerten Reich der Kreativität.
Schlimmer noch, es wäre leichter gewesen, verständlich zu sein als sich allem Verständnis zu verweigern. Die Hand, auf ein Blatt gesetzt, tendiert von selbst zu den gewohnten, seit der Schulzeit antrainierten Zeichenketten. Es erfordert Disziplin, mit jeder zeichnerischen Geste im Reich der Selbstbezüglichkeit zu bleiben. "Chère Vitrine" liest sich wie der Anfang eines Briefs in einer Zeit, als Französisch nicht nur obligate Salonsprache war, sondern leidenschaftliche Erklärungen mit der formalisierten Anrufung des Empfängers beginnen konnten, das Stereotyp die Aussage also nicht in Zweifel zog, sondern die sprachliche Variation erst möglich machen sollte. In einer Zeit, in der die Abstraktion eine mögliche Konvention geworden ist, setzt Friederike Feldmann die abstrahierte Schrift als Erinnerung daran ein, wie konventionell die keiner allgemeinverständlichen Aussage verpflichtete künstlerische Autonomie einerseits ist, welche Disziplin es uns aber andererseits abverlangt, uns Freiräume der Nichtbedeutung zu erschließen. Es kostet uns Konzentration, die Bedeutungsverzögerung nicht in Bedeutungsstereotypen zu ersticken.
Kurz bevor sich der schnelle Sinn einstellt, soll unsere Wahrnehmung hier also mit sich selbst beschäftigt Pirouetten drehen. Muster könnten Schrift sein. Schrift könnte sich ihrer Konventionen entledigt haben. Die nichtbeschriebene Fläche könnte so wichtig wie die beschriebene sein. Jedes Bild, jede Zeichnung macht klar, dass das auf dem Blatt hinterlassene Tuschepigment so bedeutsam oder gleichgültig ist, wie der unbeschriebene Zwischenraum. So aber verhält es sich auch mit dem Raum. Die bemalten Scheiben, das beschriebene architektonische Gehäuse als Aneinanderlehnung durchsichtiger Bildträger, als virtuelles Gemälde, hinter dem nichts ist und deshalb nichts gefunden werden kann, wird durch ein Kabinett zeichnerischer Blätter ergänzt, die intransparent, verdichtet, gestaltet, geübt und geordnet sind. Löst sich der Blick aber vom Blatt, fällt er durch die Ebenen der Malerei zurück in den Außenraum. Malerei, heißt das, ist kein Wert an sich. Sie beweist nichts und erklärt uns nicht stellvertretend die Welt. Sie ist eher eine Meditationsübung, die es uns erlaubt, die Zeichen nicht bereits an ihrem Platz zu finden, sondern grundlegend selbst zu ordnen.
Mit dem Einbau der Wandflächen hat Friederike Feldmann ihrer Malereiinstallation auf den Scheiben den Raum beschnitten und der Bewegungsfläche im Innenraum klare Grenzen gesetzt. In den von den Glasflächen definierten Bildraum fügt sich die Ausstellung wie eine Bühnenkulisse ein. Hinter dem Bild ist nun vor dem Bild. Wer zurück nach außen blickt, begreift, dass diesseits und jenseits der Bilder nichts anderes als der Raum unserer Wahrnehmung ist. Der artifizielle Raum der Ausstellung, der virtuelle Raum einer schwebenden Malerei zwischen Architektur und Natur und der profane Raum auf dem Weg zurück in den Alltag unterscheiden sich kaum. Je selbständiger wir die Zeichen lesen, je weniger wir die Kunst überhöhen, desto leichtfüßiger entkommen wir der vorkonfektionierten Ästhetik, die uns überall verabreicht wird.
Sehen Sie hier Bilder vom ersten Ausstellungsteil Chère Vitrine (I), der Malereiinstallation Friederike Feldmanns auf der Fassade des Ausstellungspavillons.