Eugenio Dittborn: Pinturas Aeropostales
1
The Chinese Worker's Right Arm III.
Airmail Painting No. 117, 1995 - 1998
Tincture, stitching, embroidery, sateen, photosilkscreen on 2 sections of cotton duck fabric
3
Eugenio Dittborn: Envelope
All works:
Courtesy KOW
2
To Travel, However. Airmail Painting
No. 178, 1986 - 2007
Tincture, buttons, photosilkscreen, wrapping paper on 2 sections of wrapping paper
5
Ninguna, 1979
Photosilkscreen on rough cardboard
3
Eugenio Dittborn: Envelope
6
Eugenio Dittborn: Por amor, 1979
Offset print, photosilkscreen on thin cardboard
Die Sprache der Politik spitzt sich zu. Es ist nicht so, dass die Zeiten ständig schlimmer würden. In unserer privilegierten europäischen Welt können sich die Einzelnen in vielerlei Hinsicht freier entfalten als je zuvor. Verdrängt man die weltweite ökonomische Ungleichheit, mit der wir uns diese Freiheit erkaufen, können wir unsere politischen Probleme fast beiläufig lösen.
Die Politik aber radikalisiert ihre Rhetorik, als herrsche der Staatsnotstand. Die Verteufelung des Gegners, düstere Warnungen vor dem Untergang haben die Maßstäbe für das Sagbare verändert. Die politische Debatte ist zum Kampfsport geworden, dessen Relativität nur noch Insider verstehen. Wie im Reality-Fernsehen gibt es Skripte und Tricks. Mediale Rhetorik und harte Fakten haben immer weniger miteinander zu tun. Immer weniger ist machbar, immer mehr ist sagbar. Es herrscht die sprachliche Verantwortungslosigkeit. Wer in die Überbietung nicht einstimmt, wird zum Verlierer. Er geht unter in der schweigenden Mehrheit derjenigen, die im emotionalen Entweder-Oder verstummen.
Aus der Sicht einer Kunstinstitution mit ihren begrenzten, symbolischen Mitteln herrscht so gesehen tatsächlich der Notstand. Unsere Lebensgrundlage sind die Zwischentöne. Wir handeln mit Abweichungen, nähren uns von Gegenperspektiven. Kunst kann manchmal laut sein, aber in der Summe lebt sie von Zögern, Zweifel und Geduld, weil sie aus diesen Tugenden überhaupt erst entsteht.
Wir haben uns deshalb entschlossen, einer parlamentarischen Tradition zu folgen und Zwischenrufe zu machen. Der erste Zwischenruf ist eine zweiwöchige Ausstellung mit Werken des 1943 in Santiago de Chile geborenen Eugenio Dittborn.
Wir zeigen einige seiner Pinturas Aeropostales, Luftpostgemälde, die der Künstler seit 1986 entwickelt hat. Der Werkzyklus beginnt also in den Zeiten der Pinochet-Diktatur und entfaltet sich in der Phase der Redemokratisierung. Die Arbeiten sind faltbar konzipiert, um in FedEx-Umschlägen in die Welt geschickt zu werden. Flaschenpost aus einer politischen Kampfzone, deren Zukunft 1986 noch völlig unvorhersagbar war.
Die Adressaten ziehen Malerei, Siebdrucke und Textilcollagen auf je drei Quadratmeter großen Baumwoll-, Filz- und manchmal auch Papierbahnen aus den Umschlägen und sind zu Empfängern einer lakonischen Kommentarstimme geworden, die historische Quellen auswertet, Erinnerungen freilegt, Spuren liest und so die Vergangenheit aus ihren Schablonen löst, gebrochen und aufgeraut an den Medien Malerei und Grafik, im steten Widerstand gegen das schematische Bild und die rhetorische Floskel.
Dittborn, schreibt der Kurator und Galerist Alexander Koch, „bringt Spuren von Menschen neu in Umlauf, die von historischen Prozessen erfasst und herumgeschubst wurden, deren Identitäten und Geschichten man einkassierte oder die schlicht verschwanden.“
„Er sammelt Partikel eines Archivs, das keines ist: Gesichter, Körper(teile) und Berichte von Indigenen, vermeintlich Kriminellen, Strangulierten, Mumien, Insassen einer Psychiatrie. Auf den Airmail Paintings gehen sie in eine postkoloniale – bzw. dekoloniale und nichtlineare – Chronik ein, die voller Risse und Leerstellen ist. Risse, die Dittborn nicht schließt, sondern multipliziert und vergrößert. Populäre Karikaturen und deren humorige Abstraktion unglücklicher Umstände lösen die historischen Kontexte auf und verschieben manch reale Tragik gar auf die Ebene universeller Possen.“ (Alexander Koch)
Für uns ist Dittborns Werk das Exempel einer abweichenden Stimme. Es verlangt uns eine tastendere, zögerndere Wahrnehmung ab. Es justiert unsere Sprache nach und wird so zum Medium der individuellen Notwehr gegen die rhetorischen Monster, die die politische Arena bevölkern.
Der BKV setzt die Serie der Zwischenrufe in loser und spontaner Folge fort.
Mit Dank an KOW für die freundliche Unterstützung und Zusammenarbeit.